Briefe aus de Emigration

WOZ Nr.48 del 20 november 2017

Nr. 48/2017 vom 30.11.2017

DOKUMENTARFILM «NO HO L’ETÀ»
Briefe aus der Emigration
Von Silvia SĂŒess

Es war ein Überraschungssieg: Am Concours Eurovision de la Chanson in Kopenhagen 1964 sang sich die gerade einmal sechzehnjĂ€hrige Italienerin Gigliola Cinquetti mit ihrer braven Darbietung des Liedes «Non ho l’etĂ  (per amarti)» (Ich bin noch nicht alt genug (um dich zu lieben)) auf den ersten Platz. Sie wurde zum Star und erhielt bis Ende der siebziger Jahre ĂŒber 140 000 Fanbriefe aus aller Welt.

Diese Briefe nimmt der Tessiner Regisseur Olmo Cerri nun zum Ausgangspunkt fĂŒr seinen Dokumentarfilm «Non ho l’età». Allerdings steht nicht die SĂ€ngerin im Zentrum seines Films, sondern vier dieser Briefeschreibenden: Alle vier sind in die Schweiz migrierte ItalienerInnen. Carmela Schipani kam als Kind von GastarbeiterInnen mit elf Jahren illegal in die Schweiz. Sie versteckte sich drei Jahre in ihrem Zimmer und schrieb Cinquetti einen Brief, um ihr zu zeigen, wie sehr sie sie mochte. Maria Brasson wiederum bat Cinquetti um Rat beim Kauf einer Gelateria. Die verstorbene Mutter von Lorella Previelo erzĂ€hlte Cinquetti von ihren drei Kindern und bat die SĂ€ngerin, ihr finanziell zu helfen, weil sie kein Geld fĂŒr Heizöl habe und ihre Kinder in der kalten Schweizer Wohnung frören. Don Gregorio Montillo schliesslich bedankte sich als junger Theologiestudent bei der SĂ€ngerin fĂŒr den Trost, «den Sie uns in unserer Emigration schenken». Ihr Lied schien einen Nerv getroffen zu haben, wie Montillo im Film erzĂ€hlt: «Die MĂ€nner weinten, wenn sie das Lied fertig gesungen hatte, schlugen sich mit der Faust auf die Beine und sagten: â€čVerdammte Emigration!â€ș»

Cerri lĂ€sst die Betroffenen von damals erzĂ€hlen, begleitet sie in ihrem Alltag. Immer wieder dringt durch, wie einschneidend und endlos eine Migration ist. Die Biografien ergĂ€nzt er mit historischem Filmmaterial – Ausschnitte aus «Siamo Italiani» von Alexander J. Seiler oder Aufnahmen von James Schwarzenbach, der vor der Â«Ăœberfremdung» warnt – und erinnert so eindrĂŒcklich an eine noch nicht lange zurĂŒckliegende Zeit, in der die ItalienerInnen als ArbeitskrĂ€fte ausgebeutet und als Menschen missachtet wurden.

Aggiungi ai preferiti : Permalink.

I commenti sono chiusi.