Filmkritik: Die Melodie der Heimat

Filmkritik Cineman: Julian Gerber (link)

Musik kann starke GefĂŒhle hervorrufen – so auch bei den vier Hauptakteuren in «Non ho l’età», die Mitte der 60er-Jahre im Zuge der grossen italienischen Einwanderungswelle in die Schweiz kamen. Mit der Sehnsucht nach der Heimat im GepĂ€ck wurde das Lied der jungen SĂ€ngerin Gigliola Cinquetti fĂŒr die Auswanderer zu einem treuen Begleiter in einem fremden Land, in dem sie nicht immer mit offenen Armen empfangen wurden.

Als die schöne Italienerin Gigliola Cinquetti 1964 den 1. Platz fĂŒr Italien beim Eurovision Song Contest gewann, wurde sie ĂŒber Nacht zum Liebling der Nation. Mit dem Lied «Non ho L’età» sang sie sich unter anderem in die Herzen derer, die ihre Heimat Italien verliessen, um sich in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen. Und genau darum geht es in der Dokumentation von Olmo Cerri: Anhand von vier Fanbriefen an die junge SĂ€ngerin machte sich der Regisseur auf die Suche nach den Menschen hinter den emotionalen Botschaften. Entstanden ist ein Film, der die Auswanderer-Schicksale mitsamt ihren TrĂ€umen und Hoffnungen beleuchtet – und dies zu einer Zeit, als die Schweizer den GĂ€sten aus dem Land der Sehnsucht zum Teil noch sehr skeptisch gegenĂŒberstanden. ErzĂ€hlt wird die Geschichte von Carmela, Don Gregorio, Gabriella und Lorella, die sich zwar nicht kennen, aber die durch ihre Geschichte in Verbindung stehen – einer Geschichte von Migration, IdentitĂ€t und Herkunft.

Non ho l’età rollt ein wichtiges Kapitel der Schweizer Geschichte auf und trifft damit den Nerv der Zeit – denn die Migrationsthematik könnte in Zeiten von FlĂŒchtlingsströmen und Masseneinwanderungsinitiative aktueller nicht sein. Die Idee hinter dem Filmkonzept ist extrem ausgeklĂŒgelt und verspricht eine intensive Konfrontation der Akteure mit ihrem persönlichen Schicksal. So vielversprechend die Ausgangslage, so durchschnittlich prĂ€sentiert sich dann aber das Ergebnis: Die Geschichten der Einwanderer sind zwar zum Teil spannend anzuhören und sorgen fĂŒr eine nostalgische bis melancholische Grundstimmung, im gesellschaftlichen Kontext schöpft die Dokumentation ihr Potential jedoch nicht aus. Die damals kontrovers diskutierte Überfremdungsinitiative ist zwar ein Thema, die existenzielle Bedrohung, die sie fĂŒr Zehntausende von Menschen darstellte, bringt der Film jedoch zu wenig rĂŒber. So prĂ€sentiert sich Non ho l’età eher als unaufgeregte Aneinanderreihung von Alltagsgeschichten, die das Leben der Heimweh-Italiener in der Schweiz mit allen HĂŒrden und Problemen thematisieren, ohne dabei konsequent den gesamtgesellschaftlichen Bezug herzustellen.

https://www.cineman.ch/movie/2017/NonHoLeta/review.html

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